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as hat weniger damit zu
tun, dass sie dort so gut
Würste braten können.
Es ist vielmehr die Erin-
nerung an die Rückfahrt im ‚Pokal-
Express‘ im Mai 2004 von Ber-
lin nach Bremen. Es verhielt sich
nämlich so, dass es den langjähri-
gen Werder-Präsidenten Dr. Franz
Böhmert nach einer Currywurst
gelüstete. Ein Zwischenstopp war
eigentlich nicht vorgesehen, der
Sonderzug hielt trotzdem außer-
planmäßig, und ‚der Doktor‘ be-
kam eine 1-A-Currywurst.
Wir Journalisten
haben es auch
ohne Wurst ausgehalten, unsere
Nahrung war überwiegend flüs-
sig. Um 4.00 Uhr bin ich im Bett
gewesen, gegen 8.00 Uhr fuhr
der Zug. Kaum waren wir ein-
gestiegen, klapperten schon Be-
dienstete der Bahn mit Flaschen
und Gläsern. „Och nö“, „Nein
danke“, „Lieber einen Kaffee“
waren unsere ersten Reaktionen
auf das überraschende Angebot
an alkoholischen Getränken. Als
dann einer über die angeblich
wohltuende Wirkung eines ‚Kon-
terbiers‘ referierte, war der Rest
schnell überzeugt. In Stendal hat-
ten wir gute Laune, in Wolfsburg
noch viel bessere, und spätestens
ab Verden war der Großteil der
Kollegen (die nicht mehr arbeiten
mussten!) sturzbetrunken.
In Bremen
wollten Abertausende
mit den Double-Siegern feiern.
Die Stadt hatte sich grün-weiß he-
rausgeputzt, es war eine sensati-
onelle Stimmung. Natürlich hatte
nicht einer der Fans auch nur das
geringste Interesse an uns. Aber
weil wir nun mal mit den Spielern
zusammen aus dem Zug stiegen,
konnte man sich schon mal ein
bisschen so fühlen wie ein Pokal-
sieger. Wahrscheinlich hätte ich
sogar Autogramme gegeben...
Eigentlich bin ich
für eine ge-
wisse Distanz zwischen Jour-
nalisten auf der einen, Spielern,
Verein und Fans auf der anderen
Seite. Aber damit war es an die-
sem Tag nicht weit her. Und als
Bremer Jung ist dann ja auch
eine gehörige Portion Herzblut
dabei. Zum Marktplatz fuhr uns
eine Straßenbahn. Im normalen
Leben bin ich Radfahrer, ich has-
se ‚Strapazenbahnen‘, erst recht
wenn sie überfüllt sind. In der
rappelvollen Werder-Bahn war
noch weniger Platz, weil irgend-
ein mitdenkender Mensch dort
mehrere Bierkästen deponiert
hatte. Nach einer halben Stunde
waren wir etwa dreihundert Me-
ter vorangekommen. Was also
tun auf der langen Reise zum
Rathaus – außer Bier trinken?
Wir haben uns
für Singen ent-
schieden, weitgehend sinnfreie
Fußballlieder umgedichtet und
uns selbst gefeiert. Es gibt wenige
Dinge, die ich so bekloppt finde
wie Polonaisen. Bis dahin hatte
ich mich stets verweigert, aber
an diesem Tag bin sogar ich freu-
destrahlend hinter wildfremden
Menschen durch die Straßen-
bahn marschiert. Am Rathaus
haben wir den Spielern auf dem
Balkon und den Fans auf dem
Marktplatz das Singen überlassen,
schon allein weil wir inzwischen
vollkommen heiser waren.
Irgendwann habe ich
mich nach
Hause fahren lassen. Dort war
meine Familie zu Kaffee und
Kuchen versammelt. Ich habe
meine Schwiegermutter ordent-
lich verschreckt, indem ich dann
doch noch ein bisschen rumge-
grölt habe. Aber bald bin ich in
der Hängematte eingeschlafen
und zu ‚Sport im Dritten‘ wie-
der aufgewacht – pünktlich zur
Berichterstattung über die Pokal-
Feierlichkeiten. Zum Glück hatte
uns keine Kamera eingefangen.
Sven Bremer
SVEN BREMER
arbeitet seit 20 Jahren als Jour-
nalist. Nach dem Volontariat
war er Redakteur beim Weser-
Kurier. Seit 2003 ist er wieder
‚Freier‘ und berichtet für Tages-
zeitungen und Magazine über
Werder. Ansonsten schreibt er
Biografien, Reisereportagen
und Reiseführer. Sven Bremer
ist unter anderem Autor eines
Buchs über die Geschichte von
Werder Bremen (gemeinsam mit
Olaf Dorow). 2013 erscheint
sein Buch über die ‚Wunder von
der Weser‘.
Bremer im Aus-
nahmezustand
Jedes
Mal, wenn ich mit dem Zug durch
den Hauptbahnhof von Hannover
fahre, kriege ich Hunger auf eine
Currywurst.
Grün-weiße Feierlichkeiten
Der
‚Double‘-Gewinn 2004 sorgte
auch bei den begleitenden
Journalisten für Euphorie.
Foto: M. Rospek
WERDER MAGAZIN 300 77
WERDER-ERINNERUNGEN
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